RE: Änderungen §20 EStG - Einkünfte aus Kapitalvermögen ab 2020/2021
| 08.03.2024, 19:29 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.03.2024, 19:33 von lulumeon.)(08.03.2024, 12:27)Speculatius schrieb: Ich spiele jetzt mal den Advocatus Diaboli - das hatte ich früher schon getan - und argumentiere im Sinne der Gegenseite.
Ich sage:
- Zu einer Situation, daß der Steuerpflichtige mehr Steuern zahlt als er Gewinn hatte und gegebenenfalls sogar in die Privatinsolvenz getrieben wird, kann es niemals kommen. Sofern er einen Gewinntrade hat, wird von diesem sofort Abgeltungsteuer abgezogen. Für das folgende Geschäft steht im also nur noch der Nettogewinn zur Verfügung, von dem bereits Steuern abgezogen wurden. Erleidet er beim Folgetrade einen Totalverlust und kann diesen nur teilweise mit dem Gewinn aus dem Trade davor verrechnen, erhält er im Folgejahr eine Steuergutschrift. Doch er kann durch die Einkommensteuer nicht mehr verlieren, als er gewonnen hatte und schon gar nicht durch Steuerschuld in die Insolvenz getrieben werden. Die Steuern werden immer nur von den Gewinntrades abgezogen und das sofort, das Geld steht dem Anleger für weitere Trades also gar nicht mehr zur Verfügung.
Rechenbeispiel:Gewinntrades mit Gewinnen von 100.000 Euro, davon sofort abgzogen: 25.000 Euro Steuern, verbleiben 75.000 Euro beim Anleger. Die kann er jetzt investieren. Verlusttrades mit Verlusten von 75.000 Euro, davon anrechenbar auf die Gewinne 20.000 Euro, macht eine Steuergutschrift von 5.000 Euro im Folgejahr. Eine Insolvenz wegen Überschuldung durch Steuerzahlungen ist da völlig ausgeschlossen.
- Handelt der Anleger bei einem ausländischen Broker, der keinen Abgeltungsteuerabzug vornimmt, steht es in der Verantwortung des Anlegers, für jeden Gewinntrade entsprechende Rückstellungen in Höhe der Abgeltungsteuer vorzunehmen, um seine Steuerschuld im Folgejahr im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung begleichen zu können. Unterlässt er dies, fällt das in seinen Verantwortungsbereich und er kann sich dann infolge seines pflichtwidrigen Verhaltens nicht darüber beklagen, wegen mangelnder Rücklagen seine Steuern nicht bezahlen zu können.
- Zudem hat der Anleger die Möglichkeit, im Rahmen von Steuergestaltungen seine Geschäfte in einer Kapitalgesellschaft abzuwickeln, bei der allerdings neben anderen Verlustanrechnungsregeln auch andere Steuern erhoben werden bzw. andere Steuersätze gelten. Von diesen Gestaltungsmöglichkeiten kann er jederzeit Gebrauch machen, die sind ihm nicht verwehrt.
So, und nun sage ich noch etwas, auch wenn es von den Mitlesern hier - mich eingeschlossen - nicht gerne gehört wird:
Bei den Juristen gibt es nur selten "richtige" oder "falsche" Entscheidungen, sondern in der Regel ein großes Spektrum an "vertretbaren" Entscheidungen. Als jemand, der vor Jahrzehnten mal selbst Jura studiert hat, kann ich diese Juristenweisheit gerne an das Publikum weitergeben. Es stellt sich also die Frage: würde eine solche Vorgehensweise, wie der Advocatus Diaboli sie hier vorgetragen hat, in das Spektrum "vertretbarer Entscheidungen" passen? Ich sage: sie würde. Sie mag für den Anleger ungünstiger sein, zumindest wenn er einen großen Betrag an Verlusten erwirtschaftet, aber er könnte trotzdem mit ihr leben. Die Abgeltungsteuer wirkt hier so ähnlich wie eine Verbrauch- oder Umsatzsteuer, die es früher in Form der Börsenumsatzsteuer tatsächlich mal gab. Da wurde gleich beim Kauf und Verkauf die BUSt abgezogen und landete beim Staat, und zwar immer, egal ob ich Gewinn oder Verlust gemacht hatte.
Ich sehe das genauso wie du. Zu häufig muss man in der Juristerei Argumente gegneinander abwegen womit man sich fast alles so bauen, wie man es braucht. Dadurch entscheidet das BVerfG in den wichtigsten Fragen nach Gesinnung/politisch. Haben wir doch jetzt schon mehrfach gesehen; ganz besonders wenn sich die etablierten Parteien einig waren.
Da hier aber die FDP und CDU anti-binding sind, das Thema weniger relevant ist, und der BFH schon entschieden hat, sehe ich hohe Chancen auf ein "faires" Urteil. Anernfalls würde die Steuergesetzgebung auch für zukünftige Gesetze total perventiert werden, da das Nettoprinzip erstmalig wegfällt. Letzlich wohl zuviel Schaden, auch wenn es kein Problem wäre, sich ein pro-binding Urteil aus den Fingern zu saugen - geht alles.