Zitat:IBM streicht 8000 Jobs – und setzt auf Chatbots statt Menschen
Immer mehr Unternehmen streichen ihre HR-Belegschaft zusammen und setzen auf KI-Agenten. Was wie mehr Effizienz klingt, kann voreilig sein, sagt eine Expertin
Melanie Raidl
19. Juni 2025
Die große Aufgabe von Künstlicher Intelligenz (KI) ist es, Arbeit zu erleichtern und effizienter zu machen. Vor allem im Personalwesen mehren sich die Tools, die repetitive Aufgaben übernehmen – von der Beantwortung von Mitarbeitendenanfragen bis zur automatischen Verwaltung von Personaldaten. Ein prominentes Beispiel liefert IBM: Der Tech-Konzern kündigte kürzlich 8.000 Mitarbeitende, ein Großteil aus der HR-Abteilung. Statt persönlicher Betreuung sollen nun 94 Prozent der Anfragen ein KI-Chatbot namens "Ask HR" beantworten.
Eine genaue Zahl, wie viele Personalerinnen und Personaler tatsächlich entlassen wurden, nennt IBM nicht. CEO Arvind Krishna sagte im "Wall Street Journal" aber, KI solle interne Abläufe wie Anfragen, Formularbearbeitung und Datenorganisation übernehmen. Der Grund ist klar: Kosten senken und Prozesse beschleunigen. Investiert wird künftig eher in Softwareentwicklung, Marketing und Vertrieb.
Dieser Schritt wirkt wie ein plötzlicher Umbruch, ist aber Teil eines größeren Trends. Auch andere Tech-Giganten wie Google, Microsoft oder Amazon haben in den letzten Monaten Tausende Mitarbeitende entlassen – mit wachsendem Fokus auf Automatisierung. Shopify-Chef Tobias Lütke geht sogar noch weiter: Für neue Stellen müssen Teams erst beweisen, dass sie nicht von KI übernommen werden können. Dabei ist HR längst Pionier bei der Digitalisierung von Prozessen. Schon vor Jahren gab es erste Bewerbungsverfahren, die KI unterstützten.
Eine aktuelle Bitkom-Studie bestätigt den Trend: 57 Prozent der Unternehmen arbeiten aktiv mit KI, Tendenz steigend. 20 Prozent nutzen KI bereits produktiv. Im Personalbereich sind erste Anwendungen mit 17 Prozent schon üblich – etwa fürs Recruiting, interne Kommunikation oder Schulungen.
Nicht ganz bereit
Doch trotz der Fortschritte warnen Fachleute davor, zu schnell zu viel an KI abzugeben. Nicole Prieller von PwC Österreich, die Unternehmen bei der Einführung von KI-Technologien berät, beobachtet, dass viele Firmen zwar wissen, dass KI bleibt, aber kaum gut vorbereitet sind. "Strategie, Verständnis und Schulung fehlen oft", sagt sie. Nur rund 30 Prozent der Befragten einer aktuellen PwC-Studie fühlen sich im Umgang mit KI gut vorbereitet. Die Zahl hält Prieller allerdings für sehr optimistisch. Vielen sei noch nicht bewusst, wie tiefgreifend KI Arbeitsabläufe verändert, auch in klassischen HR-Bereichen.
Gerade in HR sieht sie aktuell einen deutlichen Trend: Standardprozesse wie Anfragen beantworten oder Datenverwaltung werden zunehmend von KI-Agenten übernommen. "HR ist für viele Unternehmen der erste Anwendungsfall, nicht weil HR unwichtig ist, sondern weil dort viele repetitive Aufgaben schnell automatisiert werden können."
Zahlreiche Anbieter
Eine Auswahl an Anwendungen gibt es mittlerweile jedenfalls genügend, vor allem im Bereich Kommunikation und HR. Das Applied AI Institute for Europe errechnet, dass es in Deutschland inzwischen 687 KI-Start-ups gibt – 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Eines davon ist etwa das Hamburger Unternehmen Cofenster. Ihre Tools ermöglichen professionelle Videos mit minimalem Aufwand selbst zu produzieren. In der HR seien die Anwendungsfälle etwa Schulungsvideos, Onboarding-Infos oder Compliance-Trainings, wie Co-Gründer Tom Vollmer dem STANDARD erklärt. "Was früher fünf Leute gemacht haben, schafft heute eine Person mit KI und so entsteht mehr Freiraum für kreative Inhalte", erklärt Vollmer.
Auf die menschliche Kontrolle lasse sich aber nicht verzichten: "Kein CEO will riskieren, dass sensible Daten in amerikanische Sprachmodelle fließen." Gleichzeitig müsse man mit dem Trend mitziehen. "In fünf Jahren wird kein Arbeitgeber mehr sagen: Mach das bitte manuell."
Klare Regeln entscheidend
Die KI-Expertin Prieller betont, dass es für jede Anwendung klare Rahmenbedingungen braucht: Transparenz, Ethikrichtlinien, verantwortungsbewussten Umgang und Schulungen, gerade im Recruiting. Nur so bleibe der KI-Einsatz nachvollziehbar und fair.
Die Unternehmen, die KI bereits sinnvoll einsetzen, profitieren laut PwC-Studie: 64 Prozent der befragten CEOs berichten von Effizienzgewinnen, 54 Prozent erwarten steigende Rentabilität. Und in den USA erhalten Beschäftigte mit ausgewiesenen KI-Kompetenzen inzwischen bis zu 25 Prozent mehr Gehalt – auch in Deutschland und Großbritannien zeigen sich ähnliche Tendenzen.
Doch Prieller warnt auch vor gesellschaftlicher Ungleichheit: Gerade administrative Tätigkeiten, die stark automatisierbar sind, würden in Hochlohnländern häufig von Frauen ausgeübt. "Wer sich nicht weiterbildet, droht abgehängt zu werden." KI-Fähigkeiten müsse jeder haben, "so selbstverständlich wie Englisch." Entscheidend werde für Unternehmen nicht nur sein, ob sie die Technologie einsetzen, sondern wie sie Mitarbeitende einbinden, umschulen und mitnehmen – oder ersetzen. (Melanie Raidl, 19.6.2025)
https://www.derstandard.de/story/3000000...t-menschen
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Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden.