Zitat:Gründe für AfD-Erfolg
"Die Verdummung ist noch nicht überwunden"
Meinung
Ein Gastbeitrag von t-online-Leserin Kristina Hänel
14.06.2025 - 12:20 Uhr
Wie konnte die AfD in Ostdeutschland zur stärksten politischen Kraft aufsteigen? Eine "Tagesanbruch"-Leserin beschreibt die Gründe aus ihrer Erfahrung.
Warum wählen so viele Menschen die AfD – obwohl die Partei demokratiefeindliche Tendenzen aufweist? Der Verfassungsschutz hat nicht nur mehrere Landesverbände, sondern auch die Gesamtpartei als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft (die AfD-Spitze geht juristisch dagegen vor, noch ist kein Urteil gefallen).
Am 17. Mai hat t-online-Chefredakteur Florian Harms in der Wochenendausgabe des "Tagesanbruch"-Podcasts mit zwei AfD-Anhängern diskutiert. Die Folge ist auf großes Interesse gestoßen, mehrere Hörer haben sich ausführlich dazu geäußert.
Stellvertretend für viele veröffentlichen wir als Gastbeitrag die Zuschrift von Kristina Hänel aus Stollberg im sächsischen Erzgebirge. Im Folgenden beschreibt sie die Gründe, die ihrer Meinung nach zum großen Zuspruch für die AfD im Osten Deutschlands geführt haben.
Zitat:PODCAST Tagesanbruch – die Diskussion
Ausgrenzen oder einbinden? Diskussion mit zwei AfD-Wählern
https://tagesanbruch.podigee.io/2220-afd-waehler
t-online-Leserin über die Gründe für den AfD-Erfolg
"Wir wurden in der DDR 40 Jahre lang für dumm verkauft und indoktriniert. Die Intelligenz wurde benachteiligt, die Arbeiter und Bauern wurden gefördert, die Geschichtsbücher verfälscht und wichtige geschichtliche Ereignisse weggelassen. Die Zeitungen gaukelten uns eine heile Welt vor, mit Planübererfüllung und erfolgreichen Politikern. Uns Bürger erreichten nur positive Nachrichten. Von all dem Elend hinter den Kulissen erfuhr man nur aus dem Buschfunk.
Zugleich verschwanden immer mal wieder Leute, Kritiker wurden von der Stasi verfolgt, man hatte Angst und katzbuckelte gegenüber der Obrigkeit, um sich und seine Familie zu schützen. So entwickelte sich eine vorsichtige, arbeitsame und bescheidene Gesellschaft (Arbeiten war Pflicht), die geduldig 15 Jahre lang auf einen Trabi wartete. Eine biertrinkende Schrebergartenmentalität.
Man ging sorgsam miteinander um, weil in einer Mangelwirtschaft jeder jeden braucht. Manche aber täuschten Freundschaft nur vor und verrieten ihre besten Freunde oder Familienangehörigen an die Stasi. Duckmäuser, Mitläufer, Spitzel, Staatsfeinde, ewig Unzufriedene, Eingesperrte, Ängstliche lebten nebeneinanderher.
Es wurde aber viel gelacht, es gab DDR-Witze im Überfluss, man hatte nachts keine Angst auf den Straßen, man war privilegiert, wenn man Westpakete bekam. Man war etwas Besonderes, wenn man etwas Schönes zum Anziehen hatte, und das gab es dann nur einmal.
Auf der Straße lebte niemand, Bettler gab es nicht, ebenso wenig wie Drogensüchtige. Aufmüpfige wurden weggesperrt, und so lebte man fast beschaulich im Smog der Abgase und der täglichen Rennerei nach Dingen des täglichen Bedarfs wie Tempotaschentüchern, Lebensmitteln, Zahnpasta, Filinchen und so weiter.
Der Frust wuchs
Doch alle fast schauten Westfernsehen. Die einen wurden unzufriedener, die anderen neidischer. Dann durften die Ersten zu nahen Verwandten 'nüber', und der Frust der Verbliebenen wuchs. Er entlud sich auf der Flucht über Ungarn und in der Prager Botschaft. Dann kam die Wende und die Mauer fiel.
Nun wollten alle Westautos, Westwaren, Westreisen, und so zerbrach die ostdeutsche Industrie; bald waren die Ostprodukte spurlos aus den Läden verschwunden. Westdeutsche Unternehmer kamen in den Osten in der Hoffnung auf die schnelle Mark. Mit ihrem Wissen, wie Marktwirtschaft funktioniert, überrumpelten sie uns überforderte Planwirtschaftler und nutzten unsere Naivität schamlos aus.
Zitat:Automärkte nach der Währungsunion
Endlich Westautos!
Für viele DDR-Bürger gab es kaum Wichtigeres, als in den Besitz eines "Westautos" zu kommen. Doch die "Gebrauchten" aus dem Westen waren überteuert und oftmals schrottreif.
https://www.mdr.de/geschichte/ddr/deutsc...n-100.html
Nicht selten verbürgten ostdeutsche Handwerker und Dienstleister ihre Häuser als Pfand für hohe Kredite, meistens mit einem westdeutschen Partner an ihrer Seite. Die westdeutschen Finanzämter vermissten ihre 'schwarzen Schafe' nicht, denn diese trieben nun im Osten ihr Unwesen. Nicht selten verlor ein gutgläubiger Ossi Haus und Hof, weil er über den Tisch gezogen wurde. Das schmerzte umso mehr, weil sie so hart erarbeitet worden waren: Wer in der DDR ein Eigenheim gebaut hatte, musste um jeden Ziegelstein, jede Schindel, jedes Brett oder um Ilmantin-Plastputz kämpfen, tauschen, ewig warten und dabei oft schier verzweifeln. Es hing viel Herzblut an so einem Haus.
Während im Westen das Leben nach der Wende im Großen und Ganzen nahtlos weiterging, verloren wir im Osten unsere vertraute Arbeit, unseren Zusammenhalt, unser gewohntes Leben. Natürlich war die neu gewonnene Freiheit ein unbezahlbarer Wert! Doch die Umstellung innerhalb kürzester Zeit auf ein neues politisches und wirtschaftliches System entpuppte sich als riesige Herausforderung. Vieles war gut, es entstanden tatsächlich blühende Landschaften, doch wir verloren auch viel. Es gab Gewinner und Verlierer gleichermaßen und es passte nicht mehr zusammen. Wir veränderten uns mitsamt den neuen Herausforderungen.
Es fehlt etwas
Nach den hoffnungsvollen Kohl-Jahren und der Aufbruchstimmung spürte allmählich nahezu jeder im Osten Deutschlands, dass etwas fehlte. Was war das?
Es waren die vorher völlig unbekannten sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Es war die Gruppendynamik, gegen die Staatspartei SED zu sein. Es waren das bewährte einheitliche Schulsystem, die Polikliniken für alle Bürger und vieles mehr. Nun wurde deutlich, dass uns ein Stück unserer Identität genommen worden war. Es war ja in der DDR nicht alles schlecht gewesen – doch nun wurde uns ungefragt alles Westliche übergestülpt. Hätte man nicht einiges so lassen können, wie es immer gewesen war?
Die sozialen Unterschiede waren das größte Problem. Der Nachbar, der Bruder, die Freunde standen plötzlich viel besser da. Sie hatten in der DDR studieren dürfen und verdienten nun im kapitalistischen System ein Vielfaches meines Gehalts. Nicht zum Aushalten, wie die sich veränderten! Früher hatten wir zusammen geschimpft, uns geholfen, waren dicke Kollegen gewesen – aber jetzt kannten sie mich nicht mehr, weil ich nicht das Glück hatte, eine Akademikerin zu sein. Diese Erkenntnis schmerzte.
Dann kamen 2015 die syrischen Flüchtlinge, und ein Riss ging durch die unzufriedene Gesellschaft. Nun musste man um seinen gerade erst errungenen, bescheidenen Wohlstand bangen. Deshalb beäugte man argwöhnisch die Neuankömmlinge, die, ohne zu arbeiten, scheinbar alles vom Staat geschenkt bekamen. So entwickelte sich eine Protestgesellschaft, die in ihr altbekanntes Muster verfiel, in die 'Ohne-Hinterfragen-alles-glauben-Mentalität', wie schon Jahrzehnte zuvor. Nur dass man diesmal nicht den Predigern von links, sondern denen von rechts lauschte.
Hauptsache, man war dagegen
Ausgefuchste Wessis und Ossis zogen diese zerrissene Menge in ihren Bann und hetzten gekonnt gegen alle und jeden in der regierenden Elite. Endlich hatten die Unzufriedenen, Neidischen, aber auch die tatsächlich Gebeutelten ein Ventil für ihren Frust. Ganz egal, welchen Irrsinn man verbreitete – Hauptsache, man war dagegen. Die Weichen für Corona-Leugner und Fremdenhasser waren gestellt.
Die 40-jährige Verdummung durch das DDR-Regime ist noch lange nicht überwunden. Es braucht mindestens noch ein bis zwei Generationen, vielleicht auch mehr. Das schreibe ich als ehemalige DDR- und heutige Bundesbürgerin, die im Erzgebirge aufgewachsen ist, Großeltern im Westen hatte, beide System erlebt hat. Ich bin entsetzt von meinen AfD-wählenden Landsleuten. Mit vielen habe ich diskutiert und gestritten, komme aber nicht weiter.
Man hätte uns Ossis mehr an die Hand nehmen müssen, uns die Politik und das Wirtschaftssystem erklären sollen. Wir waren überfordert, viele fühlen sich bis heute alleingelassen. Viele haben die Zeitenwende nur mit schweren Schäden überstanden. Darin liegt ein wesentlicher Grund für den Frust, der heute viele in die Arme der AfD treibt."
https://www.t-online.de/nachrichten/deut...uende.html
Das Problem ist, das es den Wessis auch nicht anders geht oder ging.
Gibt auch hier Berufseinsteiger die erstmal lernen müssen das es Brutto- und
Nettogehalt gibt - und neben den Steuern auch Sozialabgaben fällig werden.
Finanzplanung? Zukunftsplanung? In der Schule - zumindest bei mir damals -
kein Thema. Gibt ja auch kaum jemanden der nicht mal über den Tisch gezogen
wurde - Kaufverträge, Versicherungen, Kredite, Handyverträge,.... was auch
immer - gerade wenn man jung ist, gibt es einige die ihre Finanzen nicht im
Griff haben und in der Schuldenfalle landen - was sich bei einigen auch immer
weiter fortsetzt - gelebt wird auf Pump - Urlaub, Auto, Haus, Konsum,....
Ja da wäre ein eigenes Unterrichtsfach nötig - "das Leben in der Praxis" -
oder so ähnlich.... also da geht es den Ossis nicht anders als den Wessis -
außer das die Wessis eher jemanden finden - Familie, Freunde, Bekannte -
die einem da ein wenig weiterhelfen.... kein Ost-Problem - ein generelles Problem....
Politik - ja... Wahlrecht, Wahlen, Bundestag, Bundesrat,.... so die wichtigsten
Punkte - irgendwann mal Thema im Unterricht - unter vielen anderen -
aber aktuelle politische Ereignisse, Entwicklungen, Zusammenhänge? Null.
Themen waren auch (in den 80ern) - fossile Energiegewinnung, Klimawandel -
Demographie, Rentenproblem, Fachkräfteproblem (wegen demographischen
Wandel). Und dann? Hat man immer nur gesehen das eigentlich nix passiert -
Diskussionen ohne Ergebnis - die Lobbyisten hatten die Fäden in der Hand.
Riester-Rente - Top-Geschichte

Finanzdienstleister

Die Dame aus dem Erzgebirge trifft da bei vielem den Nagel auf den Kopf.
Vieles ist aber kein reines Ost-Problem - ist im Westen leider genauso.....
Aber - hier ist man damit aufgewachsen in eine ungewisse Zukunft zu gehen.
So ist das System. Das war in der DDR anders - man brauchte sich über
die Zukunft keine Sorgen zu machen - man war versorgt - aber musste
auch auf vieles verzichten und wurde wirklich unterdrückt....
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