Zitat:Steigender Meeresspiegel
"In Ostfriesland wird man Wasser aktiv pumpen müssen"
13.10.2024
ntv.de: Frau Jochumsen, wo stehen wir beim Meeresspiegelanstieg in Deutschland heute und womit müssen wir rechnen?
Kerstin Jochumsen: Aus den Pegelmessungen können wir lesen, dass der Meeresspiegel in den vergangenen 100 Jahren um etwa 20 Zentimeter angestiegen ist. Das variiert ein bisschen von Ort zu Ort und das kann durch menschliche Einflüsse und die Baumaßnahmen verändert werden. Generell sehen wir den Trend zu höheren Wasserständen, und dieser beschleunigt sich.
Momentan rechnen wir damit, dass bis zum Jahr 2100 ungefähr ein Meter Meeresspiegelanstieg hinzukommt. Das ist eine eher pessimistische Annahme, weil sie von hohen CO₂-Emissionen ausgeht. Deutschland hat das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, wenn wir das 2-Grad-Ziel erreichen, wäre der Meeresspiegelanstieg wahrscheinlich etwas geringer.
Bund, Länder und Kommunen planen eher immer so, dass sie mehr schützen, als wir vielleicht in der näheren Zukunft benötigen. Das ist auch total sinnvoll, denn es ist keine Frage, ob der Meter Meeresspiegelanstieg kommt, sondern nur wann. Den Meter Meeresspiegelanstieg werden mit Sicherheit erreichen.
Was können wir gegen den Meeresspiegelanstieg tun?
Einige Prozesse sind irreversibel. Einiges von dem, was derzeit im Gang ist, können wir nicht mehr stoppen. Gerade die Prozesse, die Eis beinhalten, haben eine sehr lange Zeitskala und benötigen sehr lange, um sich wieder im Gleichgewicht einzupendeln. Das Schmelzen wird noch eine ganze Weile so weitergehen. Egal, in welche Richtung sich die Emissionen entwickeln. Die Emissionen spielen eine große Rolle, weil sie entscheiden, bis zu welchem Meeresspiegelanstieg wir kommen.
Kriegen wir einen Meter beherrscht?
Niedersachsen und Schleswig-Holstein erhöhen ihre Deiche auf den Meter, das wird schon umgesetzt. Da ist noch eine sogenannte Klimareserve drin, falls der Meeresspiegel weiter steigt. Es ist nachher die Frage, wie breit der Deich an seiner Basis ist. Kann man da noch etwas draufsetzen? Das ist lokal sehr schwierig, da stehen Häuser oder Infrastruktur, aber generell gibt es diese Handlungen, da wird sehr viel gemacht.
Bleiben die Küsten bewohnbar?
Auf jeden Fall. Der Anstieg ist ein langfristiger Prozess, mit dem wir uns zügig beschäftigen sollen, denn der eine Meter wird sicher erreicht werden. Die Frage ist nur, wie schnell. Es ist nicht so, dass es übermorgen passiert, es ist also Zeit, das in Ruhe und vernünftig zu planen. Das ist auch sinnvoll, diese Klimareserven jetzt schon mitzudenken, dann hat man nachhaltiger geplant. Ich möchte betonen, dass wir Geld sparen, wenn wir den Klimawandel beschränken. Je weniger Klimawandel, desto geringer die Kosten für Extremereignisse und Schutzmaßnahmen, die wir ergreifen müssen.
Kann man denn den Küstenschutz überall gleich gestalten? Nord- und Ostsee haben sehr unterschiedliche Küsten.
Ja, das ist sehr unterschiedlich und hängt von der Küstenbeschaffenheit ab. An der Nordsee haben wir flaches Land, das durch Deiche geschützt ist. An der Ostsee gibt es Küstenabschnitte mit wenig Küstenschutz. An der Ostsee gibt es sandhaltige Steilküsten, bei denen nach einer Sturmflut etwas abbricht. Es ist schwierig, das zu schützen. Da schauen dann aber auch die Kommunen nach, was wo umsetzbar ist. Das ist letztlich alles eine Kostenfrage.
Eine Sturmflut wird in Zukunft auch höher sein.
Richtig. Die geht von einem höheren Anfangsniveau aus. Wir am BSH bezeichnen eine Sturmflut als eine Flut, die mindestens 1,50 über dem mittleren Hochwasser ist. Der mittlere Zustand einer Flut wird sich mit dem Meeresspiegel verändern und höher sein. Man benötigt die Schutzmaßnahmen für den Normalfall, aber auch für den Sturmflutfall, da werden wir andere Werte erhalten.
Wie steht es mit dem Abfluss des Wassers aus dem Binnenland? Das fließt dann nicht mehr so einfach ins Meer, wenn das Meer höher steht.
Ja, das haben wir an Weihnachten und zum Jahreswechsel 2023/2024 in Norddeutschland gesehen, als wir die hohen Wasserstände im Land hatten. Es gibt vorwiegend in Ostfriesland Gebiete, die unterhalb des Meeresspiegels liegen. Die müssen aber entwässert werden, wenn es viel regnet. Das wird bei einem höheren Meeresspiegel schwieriger. Da konnte man bisher Siele einsetzen oder Tore, mit denen man das Wasser herauslassen kann. Wenn das wegen des höheren Meeresspiegels nicht mehr funktioniert, muss man aktiv pumpen. Dann müssen wir etwas Neues bauen und Energie dafür einsetzen, dass wir das Wasser aktiv herauspumpen, weil es nicht mehr von selbst abläuft. Das ist auch für den Nordostseekanal ein Thema.
Was ist mit dem Wattenmeer? Wird es einen Meter Meeresspiegelanstieg überleben?
Das ist jetzt noch Gegenstand der Forschung. Es geht um Sedimenttransport, es geht um Sand und Schlick. Wir sehen, dass sich bis zu einem gewissen Grad auch die Wattflächen erhöhen. Das heißt, das Sediment wird so transportiert, dass es mit dem Meeresspiegelanstieg nach oben wächst. Das ist aber nur begrenzt möglich. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem das nicht mehr geht. Wenn der Meeresspiegel zu schnell steigt, kommt das Watt nicht mehr hinterher. Noch eine Weile wird es mitwachsen. Es ist also noch nicht verloren.
Mit Kerstin Jochumsen sprach Oliver Scheel.
https://www.n-tv.de/wissen/In-Ostfriesla...86148.html
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Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden.